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FE-Modell Erstellung für Einsteiger

FE-Modellerstellung: So bitte nicht

Das erste „richtige“ FE-Modell, das ich in meiner Laufbahn als Berechnungsingenieur erstellt habe, sah so aus:

  • Alle Konstruktionsdetails wurden mitmodelliert: Diese könnten ja wichtig sein
  • Die Vernetzung erfolgte mit 3D-Elementen. Über Balken- und Schalenelemente habe ich nicht nachgedacht: Um die paar Knoten mehr muss sich die Workstation kümmern, das kostet keine Arbeitszeit
  • Vernetzung: So fein wie möglich, da eine exakte Lösung angestrebt wird.
  • Bei den Lasten war ich auch gründlich: alle denkbaren Lasten wurden in das FE-Modell aufgenommen. Selbstverständlich mit allen möglichen Kombinationen der Lasten.

Das Ergebnis war eine Katastrophe:

Die Berechnung des Modells dauerte 3 Tage. Nach der FE-Berechnung fiel mir aufgrund der unplausiblen Ergebnisse ein Fehler bei den Kontakten auf. Also erfolgte eine Neuberechnung. 3 Tage später habe ich dann den nächsten Fehler im FE-Modell gefunden und den Solver neu gestartet. Leider war das noch nicht der letzte Fehler.

Insgesamt habe ich in den folgenden Wochen noch einige Fehler gefunden und für die Berechnung irre lange gebraucht.

Um Ihnen zu helfen, vernünftig an die FE-Modellerstellung heranzugehen, habe ich die folgende Liste an „best practices“ geschrieben. Erfahrung habe ich hauptsächlich in der Festkörpermechanik. Dementsprechend fokussiert sich dieser Artikel hauptsächlich auf Aufgabenstellungen aus diesem Themengebiet.

Verstehen, ob das Problem überhaupt mit der FEM lösbar ist

Vor der Erstellung eines FE-Modelles sollte geprüft werden, ob die erwartete Aussage überhaupt mit dem FE-Modell getroffen werden kann.

Einige Probleme kann man mit der FEM nicht lösen. Beispiele dafür sind zum Beispiel:

  • Rissbildung durch Reibkorrosion bei Presssitzen: das FE-Modell ist nicht in der Lage, die Physik der Reibkorrosion abzubilden
  • Festigkeit an unendlich scharfen Kerben (Singularitäten): ist mit der FEM ohne Verwendung der Bruchmechanik nicht bewertbar (siehe hierzu auch Bewertung von Singularitäten in der FEM)

Ist das Problem mit einer FEM-Berechnung lösbar, ist zu prüfen, ob alle nötigen Daten vorliegen:

  • Werkstoffkennwerte
  • Lasten
  • Randbedingungen
  • usw.

Gibt es eine analytische Lösung oder Versuchsergebnisse

Oft liegen bereits analytische Lösungen oder Versuchsergebnisse vor. Beispielsweise könnte man die Dauerfestigkeit von Schrauben anhand einer FE-Analyse berechnen. Bei einer gründlichen Berechnung sollte man folgendes untersuchen:

  • Lastverteilung auf den Gewindegängen
  • Einfluss von Plastifizierungen auf die Dauerfestigkeit
  • Einfluss der Gewindetoleranzen
  • Lastumlagerung durch teilweise angerissene Gewinde ohne Versagen der Schraube

Wenn man das gründlich macht, reicht das für eine Doktorarbeit und man ist nach 2 Jahren fertig.

Die Alternative ist ein Blick in die VDI-Richtlinie und die Berechnung der Nennspannung im Gewinde (F/A). Das lässt sich in 15 Minuten erledigen. Da die Werte aus der VDI-Richtlinie auf Laboruntersuchungen an Schraubenverbindungen beruhen, sind diese darüber hinaus genauer als eine FE-Berechnung.

In den allermeisten Fällen sollte man daher auf die aufwändige FE-Modellierung verzichten und die Abkürzung über die VDI-Richtlinie wählen. Von 136 berechneten Schraubenverbindungen wurde bei einer Untersuchung das Gewinde mitmodelliert, und zwar zur Ermittlung der Lastverteilung auf die Gewindegänge.

Konstruktion hält kritischer Prüfung nicht Stand

Bevor man eine Konstruktion berechnet, sollte man diese kritisch prüfen:

  • Ist die Konstruktion statisch unterbestimmt?
  • Sind Schwachstellen offensichtlich?
  • Sind scharfe Kerben vorhanden?

Oft ist es sinnvoll, diese Punkte mit dem Konstrukteur zu besprechen. Zum Teil lassen sich scharfe Kerben oder nicht lastflussgerechte Konstruktionen nicht vermeiden, da diese durch die Funktion der Konstruktion bedingt sind. Oft ist aber eine Ertüchtigung der Konstruktion noch vor der ersten Berechnung sinnvoll, so dass man sich in der entwicklungsbegleitenden Berechnung eine Iterationsschleife ersparen kann.

Mit linearem Modell anfangen

Es ist zweckmäßig, mit einem linearen Modell die ersten Berechnungen durchzuführen. Folgendes sollte nicht enthalten sein:

  • Große Verformungen
  • Nichtlineare Werkstoffmodelle (z.B. Plastifizieren)
  • Nichtlineare Kontakte (reibungsbehaftete Kontakte; Kontakte, die sich öffnen können)

In Kombination mit einer geringen Knotenanzahl lassen sich mit einem solchen Modell erste Berechnungen innerhalb weniger Minuten durchführen. Bestehen Unsicherheiten, ob diese Linearisierungen zulässig sind, so kann über Vergleichsrechnungen ermittelt werden, ob Nichtlinearitäten eingeführt werden müssen. Bei diesen Rechnungen sollte das Modell immer nur an einer Stelle geändert werden, um die Ergebnisänderungen den Veränderungen am Modell zuordnen zu können. Führt eine eingeführte Nichtlinearität zu nicht wesentlichen Änderungen, so ist diese wieder rückgängig zu machen.

FE-Modell klein halten

Ein schlankes Modell mit wenigen Knoten ist vor allem bei der Modellerstellung hilfreich. Durch die kurzen Rechenzeiten lassen sich Fehler im FE-Modell schnell finden und es können unterschiedliche Kontaktformulierungen, Randbedingungen und ähnliches ausprobiert werden.

Einen hohen Einfluss auf die Knotenanzahl hat die Entscheidung, wie groß der Bereich der Konstruktion gewählt wird, der im Modell abgebildet wird. Ein kleines FE-Modell nach und nach zu erweitern ist ein effizientes Vorgehen, wenn die benötige Größe des Modellausschnitts unklar ist. Anhand der Änderung der Berechnungsergebnisse bei zunehmend umfangreicherem Modell kann die nötige Modellgröße besser abgeschätzt werden. Dabei ist darauf zu achten, die Modellgröße nicht zu klein zu wählen. Der Fehler in der Berechnung muss trotz Vernachlässigung angrenzender Bereiche der Konstruktion hinreichend klein sein.

Idealisieren

Volumenelemente wie Tetraeder oder Hexaeder sind das Mittel der Wahl für voluminöse Geometrien. Aber tatsächlich nur für diese! Bei ausreichend feiner Vernetzung können mit Volumenelementen auch dünnwandige Strukturen (Anhaltspunkt: 3 Elemente über die Dicke) oder stabähnliche Strukturen berechnet werden. In diesen Fällen liefern aber Schalen- und Balkenelemente bei geringerer Knotenanzahl genauere Ergebnisse. Der zusätzliche Aufwand im Preprocessing ist meist gut angelegt und spart bei der weiteren Bearbeitung vor allem Berechnungszeit ein.

Symmetrie und 2D-Rechnungen nutzen

Wenn Symmetrie vorhanden ist, sollte diese unbedingt genutzt werden. So lässt sich leicht eine Halbierung oder Viertelung der Knoten erreichen, ohne die Qualität der Ergebnisse zu vermindern. Bei der Nutzung von Rotationssymmetrie lassen sich noch weitaus höhere Einsparungen der Knotenanzahl erzielen. In einigen Fällen ist eine 2D-Rechnung ausreichend, was ebenfalls zu einer massiven Einsparung führt.

Vernetzung

Für die ersten Berechnungen sollte mit einer groben Vernetzung gerechnet werden. Das Prüfen der Plausibilität der Ergebnisse sowie das Finden von Fehlern im FE-Modell ist damit effizient möglich. Um möglichst nah an der Realität liegende Berechnungsergebnisse zu erhalten, muss im Laufe der Modellentwicklung verfeinert werden. Allerdings sollte die Verfeinerung nur in Bereichen vorgenommen werden, in denen dies tatsächlich nötig ist.

Zur Abbildung der Steifigkeit reicht eine relativ grobe Vernetzung aus. In Bereichen, in denen Spannungen in Kerben ausgewertet sollen, ist eine wesentlich feinere Vernetzung nötig. Falls die Netzfeinheit nicht über die vorhandene Erfahrung festgelegt werden kann, sollte man eine Konvergenzstudie durchführen.

Lasten

Es ist meist nicht sinnvoll, alle angreifenden Lasten am Anfang der FE-Berechnung gleichzeitig aufzubringen. Zielführender ist, die Lasten in einzelnen Lastschritten aufzubringen. Dies führt zu folgenden Vorteilen:

  • Irrelevante Lasten, die kaum zu Verformungen bzw. Spannungen führen, können im weiteren Berechnungsverlauf ausgeschlossen werden, da durch dieses Vorgehen die dominierenden Lasten identifiziert werden können.
  • Eine Plausibilitätsprüfung des FE-Modells ist mit einfachen Lastfällen besser möglich

Große Verformungen

Eine Berechnung mit großen Verformungen sollte – wenn möglich – vermieden werden. Da bei der Verwendung großer Verformungen die Steifigkeitsmatrix nicht mehr konstant ist, sondern von der Verformung der Struktur abhängt, werden zeitaufwändige, iterative Lösungen nötig. Wenn der Effekt auf die Berechnungsergebnisse groß ist, dürfen große Verformungen natürlich nicht ignoriert werden. Für die meisten Berechnungen im Maschinenbau ist das allerdings nicht der Fall.

Zu beachten ist, dass große Verformungen sich auf die Modellgröße beziehen. Eine maximale Verformung von 5 Metern ist nicht groß, wenn die globale Durchbiegung eines Containerschiffes berechnet wird. Bei einer dünnwandigen Schalenstruktur ist unter Umständen eine Verformung in Größenordnung der Wanddicke relevant und muss beachtet werden. Im Zweifelsfall lässt sich dies schnell über zwei Vergleichsrechnungen mit und ohne Beachtung der großen Verformungen herausfinden.

Submodelle

Um die Berechnungszeit gering zu halten, ist die Verwendung von Submodellen hilfreich: Mit einer relativ groben Vernetzung wird das Globalmodell berechnet. Details, die feinere Netze benötigen, werden in einem Submodell berechnet. Eine Zusammenfassung mehrerer Submodelle in einem System kann bei der Auswertung erhebliche Arbeitszeit einsparen.

Plausibilitätschecks/Analytische Rechnung

Bei jedem FE-Modell sollte ein Plausibilitätscheck gemacht werden. Hier eine Auswahl von Möglichkeiten:

  • Eine analytische Berechnung kann für die Hot Spots meist nicht gemacht werden. Wäre dies möglich, bräuchte man kein FE-Modell. Nennspannungen aus einer analytischen Rechnung lassen sich allerdings oft mit den Spannungen im FE-Modell gut vergleichen.
  • Eine Prüfung der Verformungen und Spannungen auf Plausibilität sollte unbedingt erfolgen. Erscheinen Ergebnisse nicht plausibel, so liegt das nicht zwangsläufig an einem Fehler am Modell. Teilweise sind die Ergebnisse nicht auf den ersten Blick erklärbar. Allerdings sollte man das FE-Modell so lange untersuchen, bis man etwaige Fehler gefunden bzw. die Ergebnisse verstanden hat.
  • Eine Prüfung des Gleichgewichts aus äußeren Kräften und Reaktionskräften an den Randbedingungen sollte durchgeführt werden, um Modellierungsfehler zu finden.
  • Eine Modalanalyse der Struktur und die Betrachtung der ersten Eigenfrequenzen ist äußerst hilfreich, um nicht funktionierende Kontakte und Randbedingungen zu finden.

Dokumentation

Eine Dokumentation in Form eines Berechnungsberichtes sollte auf jeden Fall erfolgen. Wird ein detaillierter Berechnungsbericht erstellt, so erfolgt dadurch automatisch eine Prüfung des FE-Modelles. Mehr Infos zu diesem Thema finden Sie im Artikel Berechnungsbericht FEM-Berechnung.

Prüfung

Eine abschließende Prüfung durch einen anderen Berechnungsingenieur sollte bei jedem Modell erfolgen. Offensichtliche Fehler, die man bei einem eigenen Modell aufgrund von „Betriebsblindheit“ nicht mehr sieht, können so aufgedeckt werden.

Zusammenfassung

Für die FEM-Berechnung gilt meist der zugegeben abgedroschene Spruch: weniger ist mehr. Ein einfaches, überschaubares Modell ist übersichtlicher, so dass etwaige Fehler eher auffallen. Die Berechnung erfolgt schneller, so dass die Abarbeitung zügiger erfolgt und in der Entwicklung zahlreiche Varianten untersucht werden können.

Natürlich ist es nicht hilfreich, ein zu stark vereinfachtes Modell mit hohen Fehlern zu erstellen. Meine Erfahrung ist allerdings, dass gerade FE-Neulinge sich oft in zu komplexen Modellen verzetteln. Insbesondere sollte man die angestrebte Genauigkeit nicht unnötig hoch wählen. Meist wird die Ungenauigkeit maßgeblich durch unsichere Werkstoffkennwerte, nicht hinreichend bekannte Lasten, starkstreuende Reibzahlen und ähnliches bestimmt.

Artikel veröffentlicht am 25.05.2020

Andreas Hanke

Andreas Hanke
Dipl.-Ing. Maschinenbau
Autor  |  ahanke@ing-hanke.de

Ich habe bei dieser Liste bestimmt einige wichtige Punkte vergessen. Wenn Ihnen ein wichtiger Punkt auffällt, den ich nicht behandelt habe, freue ich mich über eine E-mail: ahanke@ing-hanke.de oder rufen Sie mich an (0381/121 579 10).

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