Einleitung
In diesem Artikel wird gezeigt, welche Nachweise für Schraubenverbindungen im Maschinenbau und im Stahlbau geführt werden. Grundlagen hierfür sind die VDI-Richtlinie 2230, Blatt 1 und der Eurocode 3 (DIN EN 1993-1-8).
Belastung der Schraube
Unabhängig, ob der Nachweis einer Schraubverbindung nach stahlbaulichen oder maschinenbaulichen Maßstäben erfolgt, muss bei Mehrschraubenverbindungen zunächst die Belastung auf die Einzelschraube ermittelt werden. Dies kann mit Hilfe der FEM erfolgen oder mit analytischen Methoden.
Ein Nachweis mittels FEM ist aufgrund der höheren Genauigkeit beim Vorliegen geometrisch komplizierter Verbindungen, bei etwaigem Aufklaffen der Schraubenverbindung sowie bei der Bewertung der Schwingfestigkeit vorzuziehen. Wenn auf den Einsatz von FEM verzichtet werden soll, kann die Belastung auf die Einzelschraubenverbindung beispielsweise mittels der Starrkörpermechanik ermittelt werden – beispielsweise mit unserem Online-Rechner.
Nachweise
VDI 2230 oder Eurocode 3?
Wenn die Schraubenverbindung in den geregelten Bereich fällt, wird dadurch das anzuwendende Regelwerk vorgegeben. Ist dies nicht der Fall, unterliegt die Wahl der Richtlinie dem Anwender. In Europa ist die VDI-Richtlinie 2230 („Systematische Berechnung hochbeanspruchter Schraubenverbindungen“) im Maschinenbau weit verbreitet. Im Stahlbau hat sich der Eurocode 3 (DIN EN 1993-1-8: „Eurocode 3: Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten – Teil 1-8: Bemessung von Anschlüssen“) bewährt.
Die VDI-Richtlinie zeichnet sich durch folgende Punkte aus:
- Nur für gleitfeste Verbindungen geeignet
- Detailliertes Formelwerk für die Herleitung der Belastung an der Schraube ausgehend von der Belastung an der Schraubenverbindung
- Berücksichtigung einer großen Anzahl von Schraubenanziehverfahren
- Eher geeignet für „voluminöse“ Verbindungen
- Sehr gut für dynamisch belastete Schraubenverbindungen geeignet
- Sehr ausführlich (der zweisprachige Teile 1 hat einen Umfang von ca. 180 Seiten)
Für die Schraubenberechnung nach Eurocode 3 gilt:
- Für „stahlbauliche“ Verbindungen gedacht
- Nachweis mit Scher-/Lochleibung oder für gleitfeste Verbindungen
- Formeln für die Berechnung von Schraubenkräften in Abhängigkeit der äußeren Last nicht gegeben
- Es wird nur die Verwendung von Muttern behandelt, nicht das Einschrauben in geschnittene Gewinde des Bauteils
- „Übersichtliche“ Norm (17 Seiten der DIN EN 1993-1-8 behandeln Schrauben)
Eurocode 3
Je nachdem, welche Belastung auf die Schraube wirkt (Scher- oder Zugbelastung oder eine Kombination aus beidem) und ob planmäßig eine Vorspannkraft aufgebracht wird, erfolgt eine Einteilung in verschiedene Kategorien:
Kategorie A: nicht vorgespannte, scherbelastete Schraubverbindung
Hier wird nachgewiesen, dass die auftretenden Scherkräfte geringer sind als die Abschertragfähigkeit der Schraube und die Lochleibungstragfähigkeit der verschraubten Bleche.
Kategorie B: hochfeste, vorgespannte Schrauben unter Scherbelastung, Gebrauchstauglichkeit
Zusätzlich zu den in Kategorie A genannten Nachweisen darf im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit der Gleitwiderstand nicht überschritten werden. Maßgeblich für den Gleitwiderstand ist die Vorspannkraft, welche unter Berücksichtigung des entsprechenden Teilsicherheitsbeiwertes eine Nennspannung von etwa 64% der Zugfestigkeit der Schraube erzeugt.
Kategorie C: hochfeste, vorgespannte Schrauben unter Scherbelastung, Tragfähigkeit
Die Schraubverbindung wird gegen Gleiten im Grenzzustand der Tragfähigkeit, Lochleibung und Überschreiten der Streckgrenze der verschraubten Bleche im kritischen Querschnitt (zwischen zwei Schraubenlöchern oder vom Schraubenloch zum Rand) nachgewiesen.
Kategorie D: nicht vorgespannte, zugbelastete Schraubverbindungen
Hier wird nachgewiesen, dass die auftretende Zugbelastung nicht die Zugtragfähigkeit der Schraube und den Durchstanzwiderstand der Unterlegscheibe oder der verbundenen Bauteile übersteigt.
Kategorie E: vorgespannte, zugbelastete Schraubverbindungen
Hier gelten die gleichen Nachweise wie bei Kategorie-D-Verbindungen
Bei gemeinsamem Auftreten von Zug- und Scherbelastung erfolgt zusätzlich ein kombinierter Nachweis, bei dem die Summe aus Auslastung gegen Zug und Auslastung gegen Abscheren kleiner als 1.0 sein muss, wobei hier die Zugtragfähigkeit 40% höher angesetzt werden darf.
Für alle Kategorien müssen die Rand- und Lochabstände in und quer zur Lastrichtung die Mindestwerte aus der Norm erfüllen.
VDI
Im Gegensatz zum Eurocode sind die Schraubverbindungen nach VDI generell als hochfeste, vorgespannte und gleitfeste Verbindungen nachzuweisen. Die Vorspannkraft selbst hat daher eine große Bedeutung. Zusammen mit den geometrischen und physikalischen Verhältnissen der Schraubverbindung beeinflusst sie die Verspannungsverhältnisse und somit den Anteil der Beanspruchung aus der Betriebsbelastung.
Vorspannkraft
Die erforderliche Klemmkraft wird durch folgende Anforderungen bestimmt:
- Übertragung der Querkraft durch Reibschluss in der Trennfuge.
- Abdichten gegen ein Medium
- Verhindern des Aufklaffens durch Zugbelastung
Die nach dem Anziehen durch verschiedene Effekte (Setzen, Betriebsbelastung, thermische Effekte, Rückfederung) verringerte verbleibende Vorspannkraft muss größer sein als die erforderliche Klemmkraft.
Die maximale Montagevorspannkraft darf die zulässige Montagevorspannkraft nicht überschreiten.
Die zulässige Montagevorspannkraft ergibt sich aus der Ausnutzung der Mindeststreckgrenze der Schraube. Ein üblicher Wert der Ausnutzung ist 90%.
Das Anziehverfahren muss so gewählt werden, dass die oben genannten Kriterien eingehalten werden. Die Wahl des Anziehverfahrens bestimmt die Streuung zwischen maximaler und minimaler Montagevorspannkraft
Nachweise
Versagen der Schraube
Die unter Vorspannung und Betriebsbelastung entstehenden Beanspruchungen in der Schraube werden gegen die Mindeststreckgrenze des Schraubenmaterials nachgewiesen.
Flächenpressung unter dem Schraubenkopf bzw. der Scheibe
Um Kriechvorgänge zu vermeiden, welche eine Verringerung der Vorspannung nach sich ziehen, dürfen die maximalen Grenzflächenpressungen zwischen Schraubenkopf- bzw. Mutternauflage und Bauteil nicht überschritten werden.
Einschraubtiefe
Die Mindesteinschraubtiefe ist so zu bemessen, dass ein Versagen im freien Gewinde oder im Schraubenschaft stattfindet (Konstruktionsprinzip: Schraubenbruch vor Gewindeversagen).Eine tiefergehende Abhandlung dieses Themas findet sich in unserem Artikel zur Mindesteinschraubtiefe. Eine praktische Hilfe bietet unser Mindesteinschraubtiefe-Rechner.
Gleiten
Wie bereits erwähnt sind Schraubenverbindungen nach VDI gleitfest auszuführen. Es muss daher nachgewiesen werden, dass die Verbindung unter minimaler Montagevorspannung, abzüglich aller vorspannungsmindernden Effekte (Setzen, Betriebsbelastung, thermische Effekte), nicht durch die Einwirkung von Querkräften gleitet.
Artikel veröffentlicht am 03.03.2020
Martin Lork
Dipl.-Ing. Maschinenbau
Autor | ✉ mlork@ing-hanke.de
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